Konzept

1. Theoretischer Hintergrund

Für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Abhängigkeitserkrankungen sind biologische, psychologische und soziale Faktoren verantwortlich, die in einer komplexen Wechselwirkung zueinander stehen. Die Forschung in den einzelnen Bereichen hat sich in den letzten Jahren zunehmend spezialisiert, wobei vor allem die Erforschung neurobiologischer Zusammenhänge in den Fokus der Aufmerksamkeit geriet. Für eine erfolgreiche Rehabilitation bei Abhängigkeit scheint jedoch ein ganzheitliches, nachvollziehbares, dabei wissenschaftlich fundiertes Krankheitsverständnis angemessen zu sein. Im Mittelpunkt der Therapie steht das Individuum mit seiner persönlichen Suchtgeschichte, die es gilt zu verstehen und dem Betroffenen Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Der therapeutische Ansatz des Therapiezentrums Ostberge orientiert sich vor diesem Hintergrund vor allem an den Theorien und Inhalten der kognitiven Verhaltenstherapie sowie der systemischen Therapie, da der suchtkranke Mensch als selbstbestimmtes Individuum verstanden wird, dessen Erleben und Verhalten sich in Abhängigkeit von den ihn umgebenden familiären und sozialen Systeme entwickelt hat.

2. Persönlichkeitstheorie / Krankheitsmodell / Suchtverständnis

Das handlungsleitende Menschenbild in der Therapie Abhängiger im Therapiezentrum Ostberge versteht den Rehabilitanden als aktiven und damit veränderungsfähigen Partner in der Reha-Maßnahme. Theoretische Grundlage dieser Persönlichkeitstheorie bilden zum einen die Erkenntnisse und Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, zum anderen die Annahmen und Prinzipien der systemischen Therapie.

Die kognitive Verhaltenstherapie geht von der grundsätzlichen Veränderbarkeit von erworbenen Gewohnheiten und erlernten Verhaltensweisen aus. Unter Verhalten ist hier auch eine bestimmte Art zu denken, zu fühlen und zu interagieren zu verstehen. Drogen stellen in bestimmten kritischen Lebenssituationen den Versuch einer Problemlösung dar und entwickeln über ihre spezifischen Wirkungsweisen positive sowie negative Verstärkereffekte („Kick“ bzw. Entlastung), die zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Abhängigkeit beitragen. Verbunden mit der tatsächlich stoffgebundenen Abhängigkeit sind bestimmte typische Denk- und Interaktionsmuster zu beobachten (z.B. erhöhtes Misstrauen, Angst vor Verlust und Enttäuschung, antisoziales / kriminelles Verhalten), die meist ebenfalls durch Lernerfahrungen vor und während der Zeit des Drogenkonsums entstanden sind. Auch diese assoziierten Verhaltensweisen und Überzeugungen gilt es mit Hilfe der kognitiven Therapieansätze zu analysieren und einer Veränderung zugänglich zu machen.
Besondere Beachtung finden bei der Therapie im Therapiezentrum Ostberge die individuellen Entstehungsbedingungen der Abhängigkeit. Hierbei ist das Vorgehen hauptsächlich von systemischen Überlegungen geleitet.
Die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen spielt sich in einem Spannungsfeld biologischer und genetischer Anlagen sowie dem Einfluss unterschiedlicher Umweltfaktoren ab. Die systemische Theorie versteht jede psychische Störung als einen Anpassungsversuch an bestehende Interaktions- und Kommunikationsmuster im sozialen Umfeld. Bei vielen Abhängigen finden sich ähnliche Muster in der Entwicklung, selbst wenn die individuellen Entstehungsgeschichten unterschiedlich sind. Auffällig ist, dass viele Abhängige über eine nur gering ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartung verfügen. Ihr Vertrauen, das eigene Leben selbstbestimmt zu kontrollieren und Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen ist gestört. Häufig zeigt sich, dass die spezifischen Bedingungen während der Kindheit dazu beigetragen haben, dass sich kein stabiles Gefühl von Selbstwirksamkeit oder Urheberschaft entwickeln kann. Hierbei spielt vor allem die Möglichkeit bzw. der Mangel, stabile Bindungen aufzubauen eine entscheidende Rolle. Wird die gesunde Entwicklung des Kindes gestört, kommt es zu Entwicklungsstörungen, wichtige Entwicklungsaufgaben können nicht mehr erfolgreich bewältigt werden. Die Symptome dieser Störungen sind unterschiedlich, sie äußern sich im Sozialverhalten, in Gefühlen von Ängstlichkeit und Hilflosigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen und häufig im Gebrauch von Drogen. Die Drogen übernehmen dann die Funktion, empfundene Defizite auszugleichen oder zu betäuben, langfristig führt dies jedoch zu einer Aufrechterhaltung oder Verschlimmerung des Ursprungsproblems.

Um ein umfassendes Bild der individuellen Ausprägung der Abhängigkeit zu erlangen ist eine sorgfältige Diagnostik notwendig. So können auch mögliche Begleiterkrankungen erkannt werden und einer Behandlung und Veränderung zugänglich gemacht werden. In den seltensten Fällen tritt eine Sucht als isolierte Störung auf. Vielmehr ist eine Komorbidität, v.a. mit Persönlichkeitsstörungen, Depression, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen wahrscheinlich. Besondere Beachtung finden in der Diagnostik und Behandlung auch eventuell vorliegende psychotische Störungen, die ein sehr spezielles therapeutisches Vorgehen erfordern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verständnis der Person des Abhängigen und seiner Abhängigkeit geleitet ist von einer ganzheitlichen Sichtweise, die versucht, die unterschiedlichen Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht zu identifizieren und zu analysieren. Es wird davon ausgegangen, dass es bestimmte prämorbide genetische und biologische Risikofaktoren gibt, die die Ausbildung einer Abhängigkeit begünstigen können. Auf der anderen Seite stehen die individuellen Erfahrungen im familiären Umfeld, die eine spätere Entscheidung für den Suchtmittelgebrauch beeinflussen. Hierunter fallen sowohl erlittene Traumata, mögliche Erfahrungen mit ebenfalls abhängigen Familienangehörigen, als auch die beschriebenen Bindungs- und Entwicklungsstörungen, die nicht notwendigerweise mit traumatischen Erlebnissen einher gehen müssen. Eine nicht unerhebliche Rolle spielen auch die Einflüsse aus anderen sozialen Bereichen wie Schule, Peer-Group, Arbeitsumfeld, aber letztendlich auch gesellschaftliche Entwicklungen, die zu einer fortschreitenden Entwurzelung und Entfremdung junger Menschen führen. Entwurzelung und die Zugehörigkeit zu randständigen Peer-Groups sind insbesondere bei jungen Abhängigen mit Migrationshintergrund Belastungsfaktoren. Die interkulturelle Kompetenz mit Kenntnissen über Familienstrukturen, Werte und Lebensgewohnheiten in der Heimat der Migranten und die Informationen über Familienschicksale und die aktuelle Lebenssituation, sowie eine kultursensitive Haltung sind im Therapiezentrum Ostberge Grundlagen der Arbeit mit diesen Personen.

Der Griff zu Suchtmitteln kann im Kontext starker psychosozialer Belastungen und / oder unzureichender persönlicher Bewältigungsfähigkeiten als Problemlöse- bzw. Selbstheilungsversuch betrachtet werden. Die Drogenwirkung wird als kurzfristig erleichternd und hilfreich empfunden. Längerfristige negative Konsequenzen werden ausgeblendet oder mit anderen kognitiven Mitteln abgewehrt. Durch die folgende Verstrickung in eine Abhängigkeitsspirale werden notwendige Entwicklungsschritte nicht durchlaufen, Problemlösekompetenzen nicht erworben, was häufig zu einer Steigerung von Dosis und Frequenz des Konsums führt. Auch das Abrutschen in ein kriminelles Milieu sowie gesundheitliche Folgeschäden tragen zur Aufrechterhaltung der Abhängigkeit bei.

In der Therapie gilt es, neue Erfahrungen zu machen, funktionierende Bindungen aufzubauen, Kompetenzen zu entwickeln und zu erproben, sich selbst wieder als wertvolle Mitglied der Gesellschaft zu erleben. Hierzu ist neben der Diagnostik der vorliegenden Störungen auch die genaue Betrachtung der individuellen Ressourcen notwendig. Die Betroffenen sollen lernen, eigene Stärken wieder zu entdecken, ein Gefühl von Selbstwirksamkeit oder Urheberschaft zu entwickeln, um so Veränderungen in ihrem Leben anzustoßen, die über den bloßen Verzicht auf Drogen hinaus gehen. Bei der Analyse der Ressourcen ist in der Arbeit des Therapiezentrums Ostberge auch wiederum die Einbindung der Familie von besonderer Bedeutung. Wenn die Entwicklung einer Abhängigkeit als das Ergebnis des Zusammenspiels vieler Faktoren gesehen wird, kann auch ein Abschied von den Drogen kaum im „luftleeren Raum“ vonstatten gehen. Daher ist die regionale Bezogenheit sowie die Einbeziehung wichtiger Bezugspersonen der Betroffenen ein Kernstück des ganzheitlichen Ansatzes im Therapiezentrum Ostberge.

3. Behandlungsansatz

Der Behandlungsansatz im Therapiezentrum Ostberge orientiert sich an den oben beschriebenen theoretischen Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie sowie der systemischen Therapie. Es werden erprobte Methoden sowohl in der Diagnostik (Verhaltensanalyse, Lerngeschichte, Genogramm, Fremdanamnese), in der Therapieplanung (Zielanalyse, Prozessdiagnostik) als auch in der Therapiephase (kognitive Umstrukturierung, Verhaltensbeobachtung und –übung, Hausaufgaben) angewandt.

Das therapeutische Setting entspricht einer therapeutischen Gemeinschaft mit dem Ziel, Therapie und Veränderung für die Betroffenen erlebbar zu machen. Sowohl Fehlverhalten als auch positive Veränderungen werden in der Gruppe deutlich spürbar und können direkt zurück gemeldet, analysiert und bearbeitet werden. Die Rehabilitanden setzen sich mit unmittelbar auftretenden Konflikten und Emotionen auseinander, die im therapeutischen Prozess in das individuelle Abhängigkeitsmodell eingeordnet werden können. Sie gestalten den Klinikalltag entscheidend mit, lernen so, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.

Zentraler Bestandteil der Behandlung ist die Psychotherapie, die sowohl im Gruppen- als auch im Einzelsetting statt findet. Wichtig ist jedoch die enge Vernetzung mit anderen fachlichen Disziplinen im Therapiekontext, wie der psychiatrischen und somatischen Therapie, der Arbeitstherapie, der Sozialberatung sowie der Sport- und Kreativtherapie. Wie schon beschrieben liegt besonderes Augenmerk auf der aktiven Einbeziehung der Familie und anderer wichtiger Bezugspersonen der Rehabilitanden in den Therapieprozess.

4. Indikationen und Kontraindikationen

Das Angebot des Therapiezentrums Ostberge richtet sich an Männer und Frauen ab einem Alter von 16 Jahren, die für längere Zeit oder auf Dauer nicht in der Lage sind, suchtmittelfrei zu leben. Spezielle Zielgruppe sind hierbei die Abhängigen von illegalen Drogen.

Vorraussetzung für die Behandlung ist neben dem Vorliegen einer Suchterkrankung eine ausreichende psychische und körperliche Belastbarkeit sowie kognitive Fähigkeiten, um in den Klinikalltag integriert werden zu können. Hierzu zählen auch die notwendigen Sprachkenntnisse, um aktiv an der Psychotherapie teil nehmen zu können. Ein wichtiges Prognosekriterium zum erfolgreichen Abschluss einer Behandlung der Abhängigkeit ist die Motivation zu Abstinenz, Therapie und Veränderung der Lebensumstände. Daher wird die Veränderungsmotivation der Rehabilitanden im Verlauf der Maßnahme immer wieder gezielt gefördert. Die Bereitschaft, während der gesamten Therapiezeit auf süchtige Substanzen, mit Ausnahme von Nikotin und Koffein, zu verzichten, wird erwartet.

Es werden auch Paare aufgenommen,die bereits seit längerer Zeit zusammen wohnen.

Ebenso werden Rehabilitanden mit komorbider psychotischer Symptomatik (Doppeldiagnose) und solche, bei denen einen Strafrückstellung nach §§ 35/36 BtmG vorliegt, aufgenommen.

Nicht aufgenommen werden Personen mit einer akut stationär behandlungsbedürftigen allgemeinmedizinischen, internistischen oder neurologischen Erkrankung, akuter Suizidialität, florider psychotischer Symptomatik oder akuter hirnorganischer Beeinträchtigung.

5. Übergeordnete Behandlungsziele

Im Vordergrund der Behandlung steht die Wiederherstellung bzw. Verbesserung des Leistungsvermögens des Rehabilitanden, um ihm eine verbesserte Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben zu ermöglichen. Das wesentliche Behandlungsziel besteht somit darin, eine dauerhafte Behinderung durch die Abhängigkeits-, Begleit und Folgeerkrankung einschließlich der Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern.

Es ergeben sich demnach folgende allgemeine Behandlungsziele:
Herstellung einer dauerhaften Abstinenzfähigkeit
Verbesserung von Fähigkeiten der Konflikt- und Krisenbewältigung
Steigerung der Eigenverantwortlichkeit
Hinführung zu einer gesunden Lebensführung
Für die Behandlung im Therapiezentrum Ostberge gelten die gesetzlichen Grundlagen, wie sie in der „Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ sowie in den Richtlinien des zuständigen federführenden Leistungsträgers fest geschrieben sind.